Fotos: Gerd Nickel
MAIN-POST
  Ausgabe Karlstadt
  vom Mittwoch, den 20. Juni 2012

von Günter Roth
Herr über Hüte, Roben und Nachthemden

Wenn abends der Zuschauerraum des Theaters in der Gerbergasse wieder einmal gut besetzt ist und sich auf der Bühne die Ereignisse zur Freude der Gäste überschlagen, sieht man im Allgemeinen nur sie: die Schauspieler. Erst beim Schlussapplaus, wenn der letzte Vorhang gefallen ist, holt man auch die Leute „hinter den Kulissen“ nach vorne, denn ohne sie läuft überhaupt nichts im Theater.

Die Main-Post will einmal die oft unsichtbaren guten Geister ins Rampenlicht rücken und hat ihnen eine kleine Serie gewidmet, in der die Maskenbildnerin, der Tontechniker, der Kulissenbauer und andere mehr vorgestellt werden. Den Auftakt macht der Mann, der die Requisiten, die Kostüme und die vielen kleinen Accessoires betreut: Thomas Trummer, im Schauspielerkreis „Fundusseur“ getauft.

Nein, halbe Sachen liebt Trummer nicht, nicht einmal, wenn er eine Kostümprobe für die Zeitung nachstellt. Es ist zum Ersten wichtig, was passt wem? Dass aber das Traumkleid in Rot aus dem Rokoko perfekt zu der jungen, schlanken und hochgewachsenen Juliana Böttger passt, sieht er mit Kennerblick. Trotzdem gibt er sich nicht mit einer einfachen Anprobe zufrieden. Hier muss noch etwas gerafft, dort mit ein paar Stecknadeln der Sitz verbessert und natürlich noch das passende Täschchen gesucht werden.

1200 Kleidungsstücke

Das ist bei rund 1200 Kleidungsstücken, Schuhen, Mützen, Hüten, Koffern, Schals und Federboas keine leichte Aufgabe, doch der Herr des Fundus kennt jedes seiner Gegenstände quasi mit dem Vornamen. Er weiß sogar, welche Kette oder welche Brosche zu dem ausgewählten Kleid passen könnte. Auf die Frage nach einem Gewand für einen mittelalterlichen Richter greift er nach kurzem Überlegen in einen der übervollen Kleiderständer und hat auf Anhieb etwas Passendes gefunden.

Vor rund sieben Jahren ist er zum ersten Mal die schmale, steile Treppe hinter dem Tonstudio nach oben gestiegen und hat dort ein wahres Chaos vorgefunden. Der Theaterfundus war ein reines Provisorium, ein paar fast leere Regale, ein riesiger Kleiderberg und vor allem keinerlei Ordnung. Trummer ging an drei Wochenenden in Klausur, verhängte für diese Zeit absolutes Besuchsverbot für die Dachkammer und ordnete seinen Fundus nach dem System eines alten Krämerladens.

Der gelernte Kürschner kennt sich mit Textilien und natürlich mit Mode in den verschiedensten Zeiträumen bestens aus. Deshalb sind die Kleider nach Anlässen, Epochen und Körpermaßen geordnet. Kaum zu glauben, was sich da alles findet: Nachthemden braucht man immer wieder, versichert Trummer, Gehröcke aus dem Biedermeier sowie aus dem Jugendstil sind auch öfter gesucht, als man denkt, und aus einem scheußlichen karierten Mantel aus den 60er-Jahren wird in Verbindung mit einem unsäglichen rosenbesetzten Alt-Damenhut die perfekte Kleidung für „Queen Mumm“. Einmal rief Impresario Werner Hofmann unvermittelt an und fragte nach einem orangefarbenen Astronautenanzug. Klar war der vorhanden.

Wo aber kriegt der „Fundusseur“ all das Zeugs her? „Ich bin eigentlich immer auf der Suche nach geeigneten Stücken - man weiß ja nie, was wann gebraucht wird“, sagt er. Er geht zu Theaterfesten und Auktionen oder er findet etwas bei Haushaltsauflösungen. „Manche Leute haben hier unglaubliche Schätze zu Hause.“ Dazu aber hat er zusammen mit Hofmann einen sehr guten Draht zum Stadttheater Frankfurt. Hier dürfen sich die Karlstadter einiges ausleihen und bekommen auch von Zeit zu Zeit ausgemusterte Stücke geschenkt. Gelegentlich können sie hier auch mal ein echtes Schnäppchen machen und zum Beispiel das wunderschön und aufwändig gearbeitete Rokokokleid erwerben, das Juliana gerade anprobiert.

Immer die richtigen Accessoires

Thomas Trummer ist aber noch nicht ganz zufrieden, zur perfekten Ausstattung einer Dame gehören auch die richtigen Accessoires. Und auch die gibt es zuhauf in seinem Reich: ganze Körbchen voller „Klunker“ wie Armbänder, Broschen, Diademe, Ohrringe. Der detailverliebte „Fundusseur“ sammelt auch für die Herren Manschettenknöpfe und hat mindestens 50 Krawatten in allen Farben und Formen parat. „Gerade diese Kleinigkeiten machen eine Person auf der Bühne erst perfekt“, so sein kategorischer Kommentar.

Inzwischen hat Julianas Freundin Carlotta Chittka das Schuhregal entdeckt. In neun Regalböden lagern hier mehr als 120 Paar Schuhe - der Traum jeder Frau, wenn die Sandalen, Ballerinas oder Galoschen denn neu und immer modisch wären.

Stress gibt's im Fundus gewöhnlich zwei bis drei Wochen vor der Premiere eines Stücks. Dann braucht es schon mal zwei Anproben-Abende mit ständigen Gerenne zwischen Bühne und Dachkammer, bis der Regisseur sein Placet gibt. Denn nicht alles, was oben gut aussieht, wirkt auch unten im Scheinwerferlicht optimal. Aber letztendlich klappt es doch immer - irgendwie.